Geschichten


Auszug aus einem Brief des Maler und Schriftsteller Friedrich Christianz
an seinen Freund W.
im Jahre 1924


"...wahrlich ich bin unvollkommen. Niemals wurde mir dies so schmerzlich bewusst, wie in diesen Tagen. Aus allem was mich birgt, trete ich heraus. Ich setze mich auf einen Stuhl, schlage die Beine übereinander und betrachte mich selbst. Mich, der ich dort vor der Staffelei stehe und hilflos nach den Farben suche die einst meine Freunde waren. Und so, als wäre ich eine dieser Farben, stehle ich mich heimlich davon.
Ich habe Sehnsucht nach Zeit. Nach einer Zeit ohne Anfang und Ende, und ich wünschte mir, mein Leben wäre das unauffindbare Zentrum darin. Doch wie soll ich treiben? Zu vieles hält mich fest. Es gibt so viele Anker in meinem Leben. Sie alle einzuholen würde das Boot zum kentern bringen.
Du kennst dieses Gefühl, wenn Du Dich von allem zu lösen versuchst. Dieser Augenblick, wenn Du alle Wichtigkeiten Deines Lebens entrollst wie ein Pergament. Wenn Du die Dinge nebeneinander vor Dir liegen siehst. Du wirfst einen Blick darauf und erkennst sie kaum wieder. Es ist dieser kurze Moment, in dem die Perspektive eine andere ist. Und kehrst Du zum vertrauten Blickwinkel zurück, wirst Du wieder zum Boden Deines eigenen Trichters, dann stürzt wieder alles zur gleichen Zeit auf Dich herab. Doch was bleibt Dir in Erinnerung?

Ich begebe mich nun auf die Suche, denn etwas in mir möchte entrollt bleiben..."



Wäre ich ein Haus


Wäre ich ein Haus, so stünde ich Abseits aller Straßen und Geräusche. Ein langer Weg würde sich aus der Zivilisation zu meinen Toren schlängeln. Ich würde mich an einen Wald schmiegen und auf einen See blicken, der in zart geschwungenen Tälern läge. Eine Veranda würde meine Fronten umschließen. Die Treppe zur Eingangstür würde an der zweiten Stufe knarren. Meine Räume wären groß und von Licht durchflutet. In jedem Zimmer lägen Bücher. Und es würde schwach nach Kaffee und Terpentin duften.

Die meisten Menschen würden mein Haus gar nicht finden, weil sie nicht hinschauen, auf ihrem geraden Weg, wohin auch immer. Und jenen, die auf die knarrende Stufe treten, würde ich die Tür noch lange nicht öffnen.

Friedrich Christianz
(1923)